Ideen mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz auf den Markt bringen
Fragt man ChatGPT, welche Bedeutung künstliche Intelligenz im Bereich Intellectual Property hat, bekommt man folgende Antwort: "Die Welt der Patente ist komplex und detailreich”. Sie erfordert Präzision, Genauigkeit und ein tiefes Verständnis für technische Innovationen. “Künstliche Intelligenz hat die Art und Weise, wie Unternehmen mit Patenten arbeiten, in den letzten Jahren grundlegend verändert”, so der intelligente Chatbot. Und damit hat er nicht ganz unrecht, denn die Anwendung von künstlicher Intelligenz wirft auch in der Patentarbeit neue Fragestellungen und Herausforderungen auf. Wir haben dazu mit unseren IP-Expert:innen von thyssenkrupp gesprochen.
Die Kernaufgabe von thyssenkrupp Intellectual Property besteht darin, das geistige Eigentum der thyssenkrupp Geschäfte durch Patente, Marken und Designs wirksam und effizient zu schützen. Denn bei thyssenkrupp forschen unsere Ingenieur:innen und Entwickler:innen jeden Tag über Abteilungen und Branchen hinweg an neuen Innovationen.
Von der Idee zur Realität
“Der Einsatz von künstlicher Intelligenz bietet eine Vielzahl von Chancen und Möglichkeiten, die Effizienz, Genauigkeit und strategische Ausrichtung im Bereich des geistigen Eigentums zu verbessern”, bestätigt Dr. Stephan Ising, Head of IP Strategy & Research bei thyssenkrupp Intellectual Property, die Aussage ChatGPTs. Denn auch im Bereich der Patententwicklung eröffnet künstliche Intelligenz ein breites Spektrum an neuen Anwendungsmöglichkeiten. Zum einen kann KI als essenzieller Bestandteil der zu patentierten Lösungen dienen, zum andere fungiert diese auch als äußerst wertvolles Werkzeug für die Patentarbeit selbst.
“Eine Vielzahl von Beispielen für die Arbeit mit künstlicher Intelligenz findet sich im Anlagenbau, zum Beispiel bei thyssenkrupp Uhde und thyssenkrupp nucera”, so der IP-Spezialist weiter. “Hier bieten die Themenfelder wie Zustands- und Verschleißüberwachung, Muster- oder Anomalieerkennung und prädiktive Instandhaltung, vielfältige Anwendungsfälle für KI-Unterstützung.” In diesem Zusammenhang wird häufig das Verfahren des maschinellen Lernens (Machine Learning) eingesetzt, bei dem KI-Modelle mit Hilfe von Daten trainiert werden, um Vorhersagen zu treffen oder Entscheidungen zu fällen. Diese Technologie unterstützt Forscher:innen und Entwickler:innen dabei, kreative Lösungen zu finden und neue Produktkonzepte zu erforschen.
Weitere Beispiele finden sich auch bei thyssenkrupp Automotive Technology oder thyssenkrupp Materials Services. “Bei Material Services entwickelt die thyssenkrupp Materials DataflowWorks GmbH zum Beispiel die KI-basierte Supply-Chain Lösung ‘pacemaker’. Mit dieser Demand-Forecasting-Lösung werden Daten innerhalb der Lieferkette gesammelt, organisiert und analysiert, um Bedarfsprognosen für datenbasierte Entscheidungen zu ermöglichen.”
Viel Potenzial also, um die vielen verschiedenen entwickelten Lösungen zu patentieren. Allerdings müssen dafür vorab einige Voraussetzungen und Bedingungen erfüllt werden, um einen Patentschutz für solche Lösungen zu erhalten. “Zuerst muss ein konkretes technisches Problem in der realen (analogen) Welt bestehen”, erklärt Dr. Stephan Ising. “Die Lösung dieses Problems, die KI beinhalten kann, muss dann die Anforderungen der sogenannten Neuheit und erfinderischen Tätigkeit erfüllen.” Ein innovativer KI-Algorithmus allein würde diese Anforderungen wahrscheinlich nicht erfüllen. Wenn aber zum Beispiel ein KI-Modell zur Steuerung einer Chemieanlage verwendet wird, das auf Grundlage von realen Prozessdaten einen verbesserten Anlagenbetrieb ermöglicht, löst man damit ein technisches Problem und erfüllt das Kriterium der Technizität.
Künstliche Intelligenz und 'White Space Detection' zur Förderung neuer Ideen
Ein weiterer Pluspunkt: Nicht nur als Teil der Innovationen selbst kommt KI zum Einsatz, auch das thyssenkrupp Intellectual Property-Team selbst greift auf künstliche Intelligenz zurück, um ihre Arbeit effizienter zu gestalten. Denn KI-Anwendungen können ebenfalls dabei helfen, potenzielle Lücken in Technologiefeldern aufzudecken und so die Richtung für neue Erfindungen vorzugeben. Durch die Analyse der existierenden Forschungs- und Patentlandschaft kann KI potenzielle ‘White Spaces’ oder Lücken identifizieren, in denen bislang wenig bis keine Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten stattgefunden haben. Diese Lücken bieten oft ungenutzte Möglichkeiten für Innovationen.
“Die Fähigkeiten einer KI in diesem Kontext umfasst zum Beispiel die vollständige Datenanalyse”, so Dr. Stephan Wolke, Leiter thyssenkrupp Intellectual Property GmbH. “KI-Systeme können große Mengen an Daten aus Patentdatenbanken, wissenschaftlichen Publikationen und anderen technologischen Ressourcen verarbeiten und analysieren. Durch den Einsatz fortgeschrittener Algorithmen sind sie in der Lage, Muster, Trends und Beziehungen zu erkennen, die für menschliche Analysten schwer oder nur sehr, sehr zeitaufwändig zu identifizieren wären.”
Besonders hilfreich: KI-Modelle können außerdem dazu verwendet werden, die Entwicklung von Technologietrends vorherzusagen und Bereiche zu identifizieren, die wahrscheinlich an Bedeutung gewinnen werden. “Solche Vorhersagen können dazu beitragen, strategische Entscheidungen über Forschungs- und Entwicklungsprioritäten zu treffen”, ergänzt der IP-Manager. “Darüber hinaus kann die KI dabei helfen, Wissen und Technologien aus verschiedenen Disziplinen zu verbinden, um innovative Lösungen zu schaffen. Durch die Analyse von Daten über traditionelle Fachgrenzen hinweg können unerwartete Anwendungsmöglichkeiten für bestehende Technologien gefunden werden.” Wichtig ist dabei die Qualität und der Umfang der verfügbaren Daten. Denn die Effektivität von KI bei der White Space Detection hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie zum Beispiel der Spezifität des betrachteten Technologiebereichs und der Leistungsfähigkeit der verwendeten Algorithmen.
Patentieren mit Künstlicher Intelligenz: Beschleunigte Entwicklung
Ein weiterer Vorteil der Arbeit mit KI ist ihre effiziente Arbeitsweise und die damit verbundenen Möglichkeiten, Erfinder:innen bestmöglich im Erfindungsprozess zu unterstützen, beispielsweise im Rahmen von Erfindungsworkshops. Dabei werden sowohl Kreativmethoden als auch strukturierte Methoden wie SCAMPER oder TRIZ eingesetzt.
“Technisch gesehen generieren KI-Systeme ‘neue’ Ideen, indem sie umfangreiche Datenmengen analysieren und Muster, Beziehungen oder Konzepte in diesen Daten erkennen, die sie dann in neuen Kontexten anwenden oder kombinieren können. Diese Fähigkeit ermöglicht es KI-Systemen, innovative Lösungen oder Ansätze vorzuschlagen, die menschlichen Nutzern möglicherweise nicht in den Sinn gekommen wären”, erläutert Dr. Stephan Ising. “Sind diese Ideen einmal vorhanden, kann mit Hilfe der künstlichen Intelligenz ein strukturiertes Interview mit den Erfinder:innen durchgeführt und mit gezielten Fragen das Ausfüllen von Erfindungsmeldungsformularen unterstützt werden. Dadurch kann die Zeit von der Idee bis hin zur Erfindungsmeldung signifikant verkürzt werden, wodurch auch ein schnellerer Schutz der Innovation hergestellt werden kann.”
Besonders wichtig ist dem IP-Experten dabei jedoch die Unterscheidung zwischen Mensch und künstlicher Intelligenz. “Auch wenn KI den Prozess der Identifizierung und Bewertung von Innovationsmöglichkeiten beschleunigen und bereichern kann, sollte sie immer als Ergänzung zur menschlichen Expertise betrachtet werden, da die kreative und strategische Entscheidungsfindung stets eine menschliche Domäne bleibt.”
Die Zukunft der Patente: Ein neuer Ansatz für Innovationen
Aber nicht nur bei neuen Erfindungen, sondern auch ihrem Schutz ist künstliche Intelligenz ein wichtiger Helfer. “KI-Anwendungen können bei der Erstellung von Schutzrechten auf Aspekte hinweisen, die vorher nicht berücksichtigt wurden, Zusammenhänge erkennen, die gegebenenfalls noch nicht schlüssig sind, Inkonsistenzen aufdecken oder einfach einen zusätzlichen Blickwinkel erzeugen”, betonen die Mitarbeitenden der IP-Abteilung.
Auch bezüglich der verbesserten Patentrecherche und -analyse können KI-Anwendungen unterstützen, indem umfangreiche Patentdatenbanken mit großen Datenbeständen in kurzer Zeit durchsucht werden und dabei der relevante Stand der Technik schneller und genauer identifiziert wird als mit den konventionellen Methoden. “Zusätzlich können KI-Systeme zum Identifizieren von Patentverletzungen eingesetzt werden, indem sie Produkte, Dienstleistungen und Patente weltweit überwachen. Durch den Einsatz von Bilderkennungstechnologien und Textanalyse können potenzielle IP-Verletzungen frühzeitig identifiziert werden, womit es dem Unternehmen ermöglicht wird, rechtzeitig zu reagieren”, so Dr. Stephan Wolke.
Und was für die Zukunft geplant ist? ChatGPT glaubt an eine noch stärkere Einbindung von künstlicher Intelligenz in alle Prozesse des Patentschutzes. Das sehen unsere Expert:innen etwas anders. “Wir streben auch in Zukunft nicht an, unsere Erfindungen per KI zu generieren”, betont Dr. Stephan Wolke. “Innovationen werden bei thyssenkrupp ausschließlich durch Mitarbeitende erzeugt, entsprechend gehören auch die Schutzrechte unseren Geschäften.”
Trotzdem geben wir ChatGPT in einem Punkt Recht: In der Optimierung von Prozessen birgt künstliche Intelligenz großes Potenzial und viele Anwendungsfälle.