Dekarbonisierung der Zementindustrie: Ein Wettlauf zwischen Ökonomie und Ökologie
Zement ist nach Wasser das am zweithäufigsten verwendete Material der Welt. Die Zementindustrie ist aber auch einer der beiden größten Produzenten von Kohlendioxid und für bis zu 7 % der weltweiten, von Menschen verursachten, Emissionen verantwortlich. Die Dekarbonisierung der Industrie ist ein wichtiger Hebel im Kampf gegen die globale Erwärmung, stellt aber gleichzeitig alle Marktteilnehmer vor große Herausforderungen. Die Vermeidung von Kohlendioxid muss wirtschaftlich tragfähig sein, neue Technologien müssen schnell zur Marktreife gebracht werden und Unternehmen müssen Zugang zu kohlenstofffreier Energie zu wettbewerbsfähigen Preisen erhalten. Alles in allem: Ein Wettlauf zwischen Ökonomie und Ökologie. Als wichtiger Technologiepartner unterstützt thyssenkrupp Polysius seine Kund:innen auf diesem Weg.
Dr. Luc Rudowski ist seit fast 30 Jahren bei thyssenkrupp Polysius. Angefangen als Vertriebsingenieur ist er heute für die strategische Zukunftsausrichtung der Division verantwortlich. Als Head of Innovation kennt er die großen Herausforderungen, die der Prozess der Dekarbonisierung mit sich bringt.
Bei der Zementherstellung entstehen CO₂-Emissionen aus zwei Hauptquellen. Etwa 40 % stammen aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe zum Beheizen der Öfen, während etwa 60 % bei der thermischen Zersetzung von Kalkstein in Kohlendioxid und Kalk freigesetzt werden. "Die Verwendung alternativer Brennstoffe, um auf fossile Brennstoffe zu verzichten, oder der Ersatz eines Teils des Klinkers im Zement durch zementhaltige Zusatzstoffe (SCM) mit einer geringeren Kohlenstoffbilanz sind die wirtschaftlichsten Möglichkeiten zur Dekarbonisierung von Zement", erklärt der Experte. Die Hebelwirkung zur Kohlenstoffvermeidung ist jedoch begrenzt. "Den größten Einfluss auf die Kohlenstoffvermeidung werden Technologien zur Kohlenstoffabscheidung (CCT) haben, die die CO₂-Emissionen um bis zu 90 % reduzieren können, allerdings mit hohen Kosten für die Kohlenstoffvermeidung", erklärt Dr. Rudowski. In der Tat wird erwartet, dass sich die Kosten der Zementproduktion aufgrund der enormen Investitionen für die Implementierung von CCT, die Schaffung der entsprechenden Infrastruktur wie Pipelines und Vorkehrungen für die Lagerung und Nutzung von CO₂ verdoppeln werden.
Darüber hinaus würde die Dekarbonisierung mittels Kohlenstoffabscheidungstechnologien einen Anstieg des Energiebedarfs für die Zementherstellung um 30 bis 50 % erfordern. Die Lösung liegt also in der Kombination verschiedener Ansätze.
Dekarbonisierung von Zement auf verschiedenen Ebenen.
Mit polysius® pure oxyfuel hat thyssenkrupp Polysius eine der vielversprechendsten Carbon Capture-Technologien entwickelt. Das Prinzip besteht darin, im Brennprozess der Klinkerherstellung anstelle von Luft reinen Sauerstoff zu verwenden, um den Stickstoff aus der Luft zu entfernen und das im Rauchgas enthaltene CO2 auf über 90 % aufzukonzentrieren. Mit einer nachgeschalteten Reinigungsanlage kann das CO2 weiter auf über 99,5 % aufkonzentriert werden, was den Transport und die Lagerung erleichtert. Neben der großen Umweltentlastung ist es auch die Wirtschaftlichkeit der Technologie, die die Entscheidungsprozesse der Kund:innen beeinflusst. "Unser patentiertes polysius® pure oxyfuel-Verfahren bietet im Vergleich zu anderen Technologien zur CO2-Abtrennung die besten Gesamtbetriebskosten", erklärt Dr. Rudowski.
Eine weitere sehr überzeugende Entwicklung, die einen echten Durchbruch darstellt, ist meca-clay. Das Konzept sieht die Herstellung von aktiviertem Ton als komplementäres zementartiges Material (SCM) vor, um Klinker teilweise zu ersetzen, wobei ein vollständig elektrifiziertes Verfahren anstelle des traditionellen thermischen Verfahrens zum Einsatz kommt. Es ist das erste Mal in der Geschichte, dass ein hydraulisches Bindemittel durch ein mechanisches, nicht thermisches Verfahren hergestellt werden kann. Diese bahnbrechende Technologie ermöglicht die Herstellung von kohlenstoffneutralem aktiviertem Ton, der mit erneuerbarer Energie betrieben wird. "Wir haben gerade den Vertrag für die Realisierung unserer ersten Demonstrationsanlage im Werk Allmendingen von Schwenk Zement mit einem relativ großen polysius® charger von 3 MW unterzeichnet", verrät Dr. Rudowski.
Regulatorische Rahmenbedingungen und politische Initiativen zur Dekarbonisierung der Zementindustrie
Während die US-Bundesregierung Anreize für die Entwicklung von Projekten mit Dekarbonisierungstechnologien bevorzugt, hat die EU mit dem Emissionshandelssystem (ETS) einen stärker regulierenden Rahmen geschaffen, der im Wesentlichen einen Preis für den CO2-Fußabdruck von innerhalb der EU-Grenzen hergestelltem Zement festlegt. Dieser Mechanismus schafft Anreize für Investor:innen, die Zementherstellende bei der Formulierung ihrer Dekarbonisierungsstrategien zu unterstützen und zu belohnen. "Das ETS finanziert den EU-Innovationsfonds und ermöglicht es Technologieunternehmen wie uns, Innovationen und neue Technologien zu entwickeln", sagt Dr. Rudowski. Das Emissionshandelssystem hat aber auch einen grünen Markt innerhalb der EU geschaffen, der Investoren von außerhalb der EU anzieht, die in die Produktion von grünem Zement für den Export nach Europa investieren wollen. Angetrieben von dieser Dynamik befindet sich die gesamte Branche sowohl in Europa als auch weltweit in einem tiefgreifenden Wandel.
Dekarbonisierung von Zement: Nichts weniger als eine industrielle Revolution
Neue Herausforderungen, neue Technologien und Ökosysteme sowie neue Akteure verändern die Perspektive der gesamten Branche und führen zu einem Wettbewerb der Technologiekonzepte. Welche Technologie sich durchsetzen wird, hängt von ihrer Fähigkeit ab, die Wiederverwendung bestehender Industrieanlagen zu maximieren und gleichzeitig die industriellen Risiken zu minimieren. "Wir sind uns bewusst, dass unsere Kund:innen enorme Investitionen in die Dekarbonisierung tätigen müssen. Die Wiederverwendung bestehender Industrieanlagen ist der Schlüssel zur Reduzierung ihrer Investitionsausgaben. Daher ist es Teil unserer Innovationsstrategie, neue Bau- und Nachrüstlösungen zu entwickeln und in unser grünes Portfolio aufzunehmen", erklärt der Experte.
Langfristig wird die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen davon abhängen, wie schnell sie die besten Technologien mit den richtigen Partner:innen und intelligenten Geschäftsmodellen entwickeln und einsetzen können. Daraus ergibt sich eine klar definierte Aufgabe für thyssenkrupp Polysius und die Zukunft der Business Unit. "Um auch in Zukunft erfolgreich zu sein, müssen wir durch grüne Marktintelligenz Klarheit über unsere Zukunftsmärkte gewinnen und bei Innovationen die Nase vorn haben. Wir wollen innovative Lösungen mit Alleinstellungsmerkmalen anbieten, unseren Anteil am Dekarbonisierungsmarkt gewinnen und profitables Geschäft machen", so Dr. Rudowski.
Mehr Einblicke in nachhaltige Technologien von thyssenkrupp erhaltet ihr in unseren Stories.