TechCenter Additive Manufacturing: Neue Möglichkeiten für die Industrie
Der Markt für private und semi-professionelle 3D-Drucker boomt. Unter dem Begriff „Additive Manufacturing“ erobern neue revolutionäre Verfahren nun auch die industrielle Produktion. Aber worauf kommt es an, wenn nicht Actionfiguren, sondern hochsensible Komponenten für Maschinen und Co aus dem Drucker kommen sollen? Wir haben jemanden gefragt, der es wissen muss: Andreas Stapelmann, Leiter des thyssenkrupp TechCenters für Additive Manufacturing in Mülheim an der Ruhr.
Herr Stapelmann, Zuhause ist 3D-Druck bereits seit einigen Jahren ein Thema. Sie nennen das Verfahren aber „Additive Manufacturing“. Ist das nicht das Gleiche?
Andreas Stapelmann: Grundsätzlich gibt es da gar keinen Unterschied. Wobei der Begriff „3D-Druck“ sicher schon länger präsent ist – „Additive Manufacturing“ ist neuer und beschreibt umfassender, worum es geht. Beide Begriffe zu trennen ergibt also durchaus Sinn. Früher war der 3D-Druck auf die Fertigung von konventionell konstruierten Bauteilen beschränkt. Das heißt: Mithilfe des 3D-Drucks Anschauungsobjekte zu produzieren, die schnell in den Händen gehalten und angeschaut werden können – Stichwort „Rapid Prototyping“.
Andreas Stapelmann ist seit 1999 bei thyssenkrupp – erst im Bereich Automotive, heute als Leiter des TechCenter Additive Manufacturing.
In der additiven Fertigung fokussieren wir uns darauf, Bauteile zu entwickeln und produzieren, die wirklich funktionieren. Die manchmal mit konventionellen Mitteln nicht herstellbar wären. Denn: Mithilfe von „Additive Manufacturing“ sind wir in der Lage, vollkommen neue Geometrien und Fertigungswege zu verwirklichen. Kurz: „Additive Manufacturing“ umfasst für uns die gesamtheitliche Entwicklung für industrielle Bauteile in Metall und Kunststoff – von der Idee über die Produkt- bis zur Prozessentwicklung.
Aber ist die technische Seite nicht vergleichbar? Was unterscheidet 3D-Drucker für Privatanwender von Ihren Industrie-Druckern in Mülheim?
Andreas Stapelmann: Also erst einmal können wir mit unseren Druckern Bauteile produzieren, die industriell anwendbar sind. Denn gerade gedruckte Metallbauteile, die zu ihren konventionell gefertigten Pendants gleichwertig sind, können mit solchen Druckern nicht hergestellt werden. Und wir haben die Möglichkeit, verschiedene von Industriekunden freigegebene Materialien einzusetzen. Wir können also beides drucken – sowohl prototypische Anschauungsobjekte als auch funktionale Bauteile. Bauteile, die zum Beispiel Lasten tragen können, weil unser Team ihre Eignung durch entsprechende Simulationen nachgewiesen hat.
Dazu kommt, dass 3D-Drucker für private Anwender eine geringere reproduzierbare Qualität bei geometrischer Genauigkeit und Oberflächengüte haben. Das schränkt die industrielle Verwendbarkeit stark ein. Mit unseren Industriedruckern können wir genau diese Genauigkeit, Robustheit und Qualität liefern. Ein weiterer Punkt ist natürlich die Wirtschaftlichkeit: Unsere Drucker brauchen weniger Zeit, ihr Bauraum ist viel größer. Und sie arbeiten extrem effizient. Das alles ist für den Verkauf unserer Produkte am Ende entscheidend.
In der klassischen Produktion wird gefräst, gestanzt, gebogen und mehr – Sie drucken. Was ist der Vorteil additiver Fertigungsverfahren?
Andreas Stapelmann: Das wird vor allem dann klar, wenn man sich den gesamten Entstehungsprozess eines Produkts anschaut. Additive Manufacturing gibt Unternehmen die Freiheit, Produktion ganz neu zu denken. Sie können Bauteile effizienter, flexibler und günstiger entwickeln und ihnen neue Funktionen für neue Anforderungen verleihen. Das reicht von kompakteren Designs über verwinkelte Kanalgeometrien bis hin zu kleinsten funktionalen Strukturen. Solche Dinge sind mit konventionellen Mitteln entweder gar nicht oder nur mit extremem Aufwand möglich. Ebenso kann die additive Fertigung Ausfallzeiten vermeiden, Produktionszeiten minimieren und zur Herstellung von speziell zugeschnittenen Werkzeugen dienen. Außerdem können Ersatzteile auf die jeweiligen individuellen Anforderungen hin gefertigt werden, die sonst nur schwer verfügbar sind oder lange Lieferzeiten haben. Und zuletzt ermöglicht sie die wirtschaftliche Produktion von Einzelteilen und kleinen Stückzahlen, was bisher immer eine enorme Herausforderung war.
Gibt es Geschäftsfelder, die besonders von diesen Vorteilen profitieren?
Andreas Stapelmann: Das ist eigentlich keine Frage der Branche. Die additive Fertigung birgt praktisch für jede Form der industriellen Anwendung die Chance, wirtschaftlicher zu arbeiten und spezielle Bauteile und Anwendungen in der Verfahrenstechnik umzusetzen. Wenn Sie aber Beispiele hören möchten: Gerade in der chemischen Verfahrenstechnik kommt es darauf an, Flüssigkeiten oder Gase auf engem Bauraum unter hohen Temperaturen optimal zu vermischen oder zu trennen. Das erfordert in der Regel geometrische Formen, die additiv viel einfacher oder ausschließlich so umsetzbar sind. Weitere Felder sind die Luftfahrt und die Schifffahrt, wo kleine Stückzahlen und Leichtbau eine entscheidende Rolle spielen. Auch die Automobil-Industrie profitiert von diesem Potenzial – und zwar nicht nur hinsichtlich schnellerer Entwicklungsprozesse, sondern auch in der Serienfertigung.
Wie können wir uns den Druckprozess grundsätzlich vorstellen, sprich: vom ersten Kundengespräch bis zum fertigen Druckerzeugnis?
Andreas Stapelmann: Interessierte Kunden können uns ihre technischen Anforderungen und Konstruktionsdaten schnell und unkompliziert über unsere Website zusenden. Das kann eine einfache Idee sein, aber genauso der Wunsch, das Potenzial der additiven Fertigung für das eigene Unternehmen auszuloten. Dafür konstruieren wir entweder das tatsächliche 3D-Modell für die Anwendung. Oder wir greifen den Gedanken des Kunden auf und entwickeln gemeinsam mit ihm Vorschläge zur Umsetzung und Qualitätssicherung. Dazu gehören auch Trainingskonzepte, mit denen der Kunde seine Mitarbeiter in der richtigen Anwendung der Technologie schulen kann. Manchmal wollen Kunden aber auch einfach nur, dass wir ihren Druckauftrag umsetzen. Daran schließt sich meist noch Veredelung bzw. Nachbehandlung der gedruckten Rohteile an, damit das Bauteil auch montiert werden kann. Für diese Aufgaben sind wir natürlich genauso gut aufgestellt.
Ein Blick in die Zukunft der industriellen Produktion: Die Mülheimer Drucker für Metall- und Kunststoffprodukte verarbeiten pulverförmige Grundwerkstoffe nach dem Selective Laser Melting- beziehungsweise Sintering-Verfahren und bauen dabei schichtweise Bauteile auf. Als Bauplan ist nur eine CAD-Datei nötig. Der herkömmliche Prozessschritt des Werkzeug- oder Formenbaus entfällt.
Trotzdem gilt: Der Wettbewerb schläft nicht. Warum sollten Kunden denn gerade zu Ihnen nach Mülheim kommen?
Andreas Stapelmann: Unsere Kunden sagen uns immer wieder: „Wir schätzen es sehr, dass eure Lösungsvorschläge verfahrens- und werkstoffneutral sind.“ Und genau das ist unsere Stärke: Während andere Anbieter oft einzelne „Use-Cases“ als Einstieg in die additive Fertigung nutzen, bieten wir bei thyssenkrupp eine große Bandbreite an Erfahrung in allen relevanten Industrien. Und über unsere Material- und Service-Kompetenz haben wir direkten Zugang zu vielen potenziellen Kunden – sowohl Großunternehmen als auch Mittelständler und kleinere Firmen, für die sich ein eigener Drucker nicht lohnt oder die noch Vorbehalte haben, in die additive Fertigung einzusteigen. Kunden, die uns als erfahrenen Industriekonzern vertrauen. Hier kommt es darauf an, unsere Stärken als Industriekonzern, unsere Ingenieurskompetenz und unsere Kundenbasis mit Startup-Tugenden wie Schnelligkeit zu ergänzen.
Können Sie uns denn bereits etwas über aktuelle Aufträge erzählen?
Andreas Stapelmann: Seit der Eröffnung unseres TechCenters im September 2017 haben wir bei über 300 Projekten in ganz unterschiedlichsten Anwendungsfeldern viel Erfahrung gesammelt – und diese vor allem auf Industrie-Ebene praktisch angewendet.
Das Jahr ist fast vorbei, die Neujahrvorsätze stehen vor der Tür. Was wird sich 2019 am Standort Mülheim ändern?
Andreas Stapelmann: Die Entwicklung in der additiven Fertigung ist rasant und schnelllebig – immer wieder kommen neue Verfahren auf den Markt. Deshalb müssen wir unsere eigene technologische Kompetenz sowohl in der Produktumsetzung als auch im Verfahrens-Know-how weiter vertiefen. So können wir unsere Dienstleistungsangebote in Form von Beratung, Entwicklung und 3D-Druck auch qualitativ weiter ausbauen und intensivieren. Dazu werden wir auch unsere IT Tools Schritt für Schritt weiterentwickeln, um neue Anwendungsbereiche zu identifizieren, unsere Prozesse weiter zu verbessern und diese letztlich schneller und qualifizierter umsetzen können. In diesem Zusammenhang prüfen wir auch immer wieder, inwieweit wir unseren Standort und unsere Kapazitäten ausbauen.
Sie waren lange im Bereich Automotive tätig. Was hat sie dazu gebracht, die neue Herausforderung in Mülheim zu suchen?
Andreas Stapelmann: Bis 2017 war ich viele Jahre lang ausschließlich für die Forschung und Entwicklung von Antriebskomponenten verantwortlich und vorab als Projektmanager für Fahrwerkskomponenten tätig. Ich bezeichne mich selbst als Generalisten und durfte als Entwicklungsingenieur schon früh Führungsaufgaben übernehmen. Was mich entlang meiner Karriere immer vorangebracht hat, ist meine Neugier und Begeisterung für Neues. Ich sage mal: Jung in der Birne bleiben hilft auch im fortgeschrittenen Alter.
Dabei denke ich gerne breit, sehe Prozesse immer ganzheitlich und arbeite sehr gerne mit Menschen zusammen, die sich durch Ihre Unterschiedlichkeit auszeichnen. In Sachen Führung ist das zwar fordernder, doch die Ergebnisse sind einfach besser. Ich habe gemerkt: Wenn du dieser Einstellung treu bleibst, entdeckst du immer wieder neue Möglichkeiten, um deine Expertise und dein Netzwerk auszubauen. Das alles ist meiner Meinung nach nicht nur im Automotive-Bereich oder in der additiven Fertigung viel wert, sondern überall. Und dieses Denken hat mich am Ende auch nach Mülheim geführt.
Gab es besondere Druck-Anfragen, die Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben sind?
Andreas Stapelmann: Unmittelbar nach der Eröffnung hatten wir eine recht ungewöhnliche Anfrage aus dem Stahlbereich – und zwar, ob wir denn auch Brammen drucken könnten. Da mussten wir erst einmal ein wenig Aufklärungsarbeit betreiben, was additive Fertigung leisten kann und was nicht. Genauso im Kopf geblieben ist mir unser erster Metalldruck, den wir aus dem Drucker geholt haben, um ihn dem Vorstand vorzustellen. Für dieses Ziel ist viel Schweiß geflossen, nicht nur von mir, sondern insbesondere von unserer Werkstoffexpertin Corinna Bischof – diese wirklich tolle Erfahrung und das sehr positive Feedback war klasse.
Und Ihre Weihnachtsgeschenke haben Sie in diesem Jahr selbstgedruckt, oder?
Andreas Stapelmann: (lacht) Dafür bin ich während des restlichen Jahres zu lange im TechCenter. Weihnachten ist Weihnachten, und diese Zeit gehört meiner Familie. Wir hatten wunderbare Feiertage – mit ganz klassischen Geschenken. Meine Leidenschaft für die additive Fertigung teile ich also lieber mit meinen Kollegen, obwohl sich berufliche Leidenschaft natürlich auch im Privatleben wiederfindet. Aber auch das ist gut so, denn man ist in beiden Welten der gleiche Mensch.
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