Machine Learning: thyssenkrupp setzt auf intelligente Algorithmen
Künstliche Intelligenz (KI) ist längst keine Zukunftsmusik mehr, sondern prägt zunehmend unseren Alltag und revolutioniert ganze Industriezweige. Insbesondere Machine Learning oder auch maschinelles Lernen, ein Teilbereich der KI, hat sich zu einem mächtigen Werkzeug entwickelt. Es wird eingesetzt, um komplexe Prozesse zu optimieren und neue Möglichkeiten zu schaffen. Doch wie genau kommt diese Technologie in einem Industrieunternehmen wie thyssenkrupp zum Einsatz? Um diese Frage zu beantworten, haben wir mit Dr. Julian Ritzmann, Data Scientist im Digital Technology Office, gesprochen.
Ritzmanns Karriereweg ist bemerkenswert: Nach seinem Physikstudium und sieben Jahren Forschung im Bereich der Quantenphysik, entschied er sich für einen beruflichen Wechsel. Ritzmann unterrichtete am Studienkolleg Bochum junge Menschen in Physik, um sie auf ein technisches Studium vorzubereiten. Parallel dazu entdeckte er seine Leidenschaft für maschinelles Lernen. Schließlich wagte er den Sprung, sich als Data Scientist bei thyssenkrupp auch beruflich diesem spannenden Thema zu widmen.
Mit maschinellem Lernen Komplexität meistern
Um zu verstehen, wie maschinelles Lernen bei thyssenkrupp funktioniert, schauen wir uns zunächst an, was sich hinter dem Begriff genau verbirgt. Im Gegensatz zu vielen anderen Anwendungen der künstlichen Intelligenz geht es bei maschinellem Lernen nicht darum, menschliche Intelligenz als Ganzes nachzuahmen. Ziel des maschinellen Lernens ist es, einem Modell beizubringen, eine bestimmte Aufgabe auszuführen und durch die Erkennung von Mustern präzise Ergebnisse zu liefern.
Für Ritzmann liegt die Faszination des maschinellen Lernens darin, Maschinen so zu gestalten, dass sie selbstständig Muster erkennen. So können sie komplexe Aufgaben lösen – fast so, als würden sie denken können. Damit eröffnet maschinelles Lernen ein völlig neues Feld an Anwendungsmöglichkeiten. Vor allem im Vergleich zu herkömmlichen, manuellen Arbeitsabläufen oder klassischen Algorithmen, die auf präziser Logik und festen Regeln basieren. Besonders hilfreich ist maschinelles Lernen bei Problemen, die so komplex sind, dass wir sie mit unserem Verstand und rein formaler Logik nicht bewältigen können. "Maschinelles Lernen verzichtet auf diese Logik und entwickelt stattdessen auf Basis großer Datenmengen eine Art Intuition oder 'Bauchgefühl' für die Lösung", erklärt Ritzmann.
Die Vorteile von Machine Learning: Intuition und Effizienz
“Diese Art der Intuition oder 'Bauchgefühls' ermöglicht es, Entscheidungen schneller und effizienter zu treffen, als es mit manuellen Prozessen möglich wäre", so Ritzmann. Das ist gerade in der heutigen Zeit, in der Unternehmen mit einer stetig wachsenden Datenflut konfrontiert sind, ein entscheidender Vorteil. Und auch bei thyssenkrupp stößt maschinelles Lernen auf großes Interesse: Einmal im Quartal treffen sich die Mitglieder der thyssenkrupp AI Community. “Immer mehr Kolleginnen und Kollegen beschäftigen sich mit dem Thema. Interessierte Köpfe sind bei uns jederzeit herzlich willkommen”, erzählt Ritzmann.
Machine Learning bei thyssenkrupp in der Praxis: das Projekt mlATP
Maschinelles Lernen findet bei thyssenkrupp bereits Anwendung. Für Ritzmann ist mlATP ein besonders spannendes Projekt. Es wurde zusammen mit thyssenkrupp Schulte entwickelt und in Betrieb genommen. Das Besondere daran? Mit mlATP kann das voraussichtliche Lieferdatum vorausgesagt und den Kund:innen direkt im Webshop angezeigt werden. Erst wenn sich diese zum Kauf entscheiden, wird der Planungsprozess im ERP-System (Enterprise Resource Planning) angestoßen. „Das Machine Learning Model basiert auf der Verknüpfung von historischen Lieferdaten und dem aktuellen Lagerbestand“, erklärt Ritzmann. Aktuell umfasst die korrekte Berechnung der Lieferzeit auch die Planung der gesamten Anarbeitungs- und Transportschritte. Dies ist sehr komplex und erfordert einen gewissen Zeitaufwand. Hier verschafft mIATP Abhilfe.
Julian Ritzmann und sein Team haben große Pläne für die Zukunft. Sie wollen die eigens erfundene mIATP weiterentwickeln und dadurch weitere Schritte in ein effizienteres Arbeiten gehen. “Wir arbeiten gerade an einem weiteren Projekt, welches eine effizientere Planung von Kundenanlieferungen ermöglichen soll. Darin könnten alle Bestellungen eines Tages gesammelt und auf dieser Grundlage ein möglichst effizienter und kostengünstiger Lieferplan erstellt werden. mlATP würde den Kundinnen und Kunden im Voraus einen Liefertermin für die Produkte nennen”, meint Ritzmann. So könnte mIATP dazu beitragen, die Lieferkette zu optimieren und Kund:innen über den Lieferzeitraum zu informieren.
Herausforderungen bei der Datenverarbeitung
Um Maschinelles Lernen so präzise wie möglich nutzen zu können, benötigt es eine große Menge an Daten für das Training der Machine Learning-Modelle. Die Beschaffung dieser kann durchaus ein Problem sein. “Das gilt auch für das Datenverständnis. Dafür ist es nämlich wichtig, die Herkunft und ursprüngliche Verwendung der Daten zu kennen”, so Ritzmann. Deshalb ist es für ihn unumgänglich, mit allen Expert:innen und Nutzenden regelmäßig im Austausch zu sein. “Beim Überprüfen des Datensatzes stellt man oft verblüfft fest, welche Fehler sich mit der Zeit eingeschlichen haben. Manchmal wurden Daten auch nachträglich manuell überschrieben ", sagt er. Die einzige Lösung für diese Herausforderung sei, so Ritzmann, den Datensatz penibel zu kontrollieren und im ständigen Austausch mit allen involvierten Personen zu bleiben.
Eine weitere Herausforderung: die Schnelllebigkeit des Themas. Diese erfordert einen großen Handlungsspielraum und kurze Entscheidungswege. “Wenn ich eine Liste mit allen Projekten aufstelle, ist sie sehr schnell wieder veraltet. Immer wieder gibt es neue Ideen.” Aber genau hier sieht Ritzmann auch einen Vorteil: “Wir haben mit Machine Learning plötzlich einen sehr großen Hammer in der Hand, mit dem wir jetzt nur noch die richtigen Nägel finden müssen.”
Für alle Interessierten am maschinellen Lernen hat Ritzmann noch einen Rat: “Habt Spaß an der Sache! Probiert euch in kleinen Projekten aus, sammelt erste Erfahrungen und lasst eure Begeisterung für das Thema erkennen.” Gerade weil sich Berufe durch die Digitalisierung stetig weiterentwickeln, ist ein ständiges Lernen essenziell.