Automobilproduktion sekundengenau gesteuert
Viele Systeme und Komponenten werden in der Automobilindustrie heute Just-in-Time oder sogar Just-in-Sequence direkt an das Band bei der laufenden Montage im OEM-Werk angeliefert. Angesichts äußerst knapp bemessener Zeitfenster und hochkomplexer Systeme eine maximal herausfordernde Aufgabe für weltweit tätige Systemlieferanten wie thyssenkrupp Automotive Systems. Wie der Spezialist für Montage- und Logistikdienstleistungen die Komplexität für Automobilhersteller (OEM) reduziert.
Immer mehr Modellvarianten und eine weiter steigende Anzahl an individuellen Ausstattungsmöglichkeiten erhöhen die Komplexität der Automobilproduktion immens. Es sind Spezialisten wie thyssenkrupp Automotive Systems, die den anhaltenden Trend zu noch mehr Individualität erst möglich machen. Egal ob komplette Hinterachssysteme für Porsche oder der elektrische Antrieb für den aktuellen Smart Fortwo: thyssenkrupp Automotive Systems übernimmt für seine Kunden mit rund 1.600 Mitarbeitenden weltweit das komplette Lieferantenmanagement, die termingetreue Lieferung und die Montage. Damit reduzieren die Montage- und Logistik-Experten für ihre Kunden signifikant den Aufwand innerhalb der Lieferkette und in der Produktion.
Was individuelle Produktion tatsächlich bedeutet, verdeutlicht thyssenkrupp Automotive Systems CEO Steffen Schmidt: „Die Achssysteme, die wir im Auftrag unserer Kunden montieren, sind immer unterschiedlich. Zwei gleiche Achssysteme sind so selten wie sechs Richtige im Lotto. Mit Zusatzzahl.“
Flexible Automobilproduktion durch Just-in-Sequence- und Just-in-Time-Fertigung
Die hohen Individualisierungsgrade der Automodelle erfordern eine extrem flexible Produktion. Schließlich laufen sämtliche Varianten teils mehrerer Baureihen auf einem Montageband. Deshalb werden Autos heute mehr denn je nach dem Just-in-Sequence-Prinzip (JIS) produziert. Dabei handelt es sich um eine weiterentwickelte Variante der Just-in-Time-Belieferung (JIT): Die passenden Komponenten sollen dabei nicht nur in der korrekten Menge und Qualität zur richtigen Zeit am richtigen Ort vorhanden sein. Die Belieferung „Just-in-Sequence“ ermöglicht es, die unterschiedlichen Zuliefererteile bereits in der richtigen Montagereihenfolge anzuliefern, in der sie vom OEM gebraucht und sofort im bestehenden Produktionsfluss verarbeitet werden können. Auf diese Weise können auch die Bestandsmengen so gering wie möglich gehalten werden, um so wenig Lagerbestände und -flächen wie möglich vorhalten müssen.
Sowohl JIT- und mehr noch JIS-Belieferungen erfordern deshalb nicht nur besonders effiziente Prozesse, sondern oft auch eine unmittelbare Nähe zu Automobilherstellern. So plant und realisiert thyssenkrupp Automotive Systems speziell auf seine Kunden zugeschnittene Werke entweder direkt auf dem Werksgelände oder im unmittelbaren Umfeld. „Unsere Kompetenz besteht nicht nur darin, dass wir unsere Werke eigenständig planen und errichten“, erklärt CEO Steffen Schmidt. „Wir haben auch den gleichen Anspruch wie unsere Kunden: Unsere Werke erfüllen immer den OEM-Standard“.
Fachübergreifende Expertise
Dabei wird thyssenkrupp Automotive Systems in der Regel bereits frühzeitig in die Vorserienentwicklung einbezogen, die laut Steffen Schmidt eine weitere Kernkompetenz des Unternehmens ist. Die Projektteams verfügen über Experten aus allen Fachbereichen, etwa aus der Qualität, der Logistik, der Produktion und der Beschaffung.
Eine Schlüsselrolle übernimmt dabei das Test Center von thyssenkrupp Automotive Systems. Noch bevor Automobile oder Nutzfahrzeuge auf den Markt kommen, durchlaufen sie intensive Test-Prozesse, um die Betriebsfestigkeit der verbauten Teile zu überprüfen und Schwachstellen bereits im Vorfeld zu erkennen. Das geschieht oft im state-of-the-art ausgestatteten Labor in Essen: Auf 2.500 Quadratmetern fährt das Test Center mit individuell konzipierten Prüfständen High-End-Betriebsfestigkeitsanalysen für seine anspruchsvollen Automotive-Kunden. Mit größter Präzision identifizieren die 25 Spezialisten für Betriebsfestigkeitsprüfung hier zuverlässig Schwachstellen der getesteten Bauteile und Systeme. Und das 24 Stunden am Tag, sieben Tage pro Woche. Der ultimative Härtetest: Komponenten, die das Testprogramm nicht überleben, müssen optimiert werden.
Sekundengenaue Lieferung direkt ans Montageband ist Standard für thyssenkrupp Automotive Systems
Steffen Schmidt: „Von der Integration in den Entwicklungsprozess zur frühzeitigen Berücksichtigung der Montierbarkeit, vom Standortkonzept über die Installation von Lieferanten- und Supply-Chain-Management bis zur präzise getakteten Just-in-Sequence-Montage und Belieferung: Unsere Kunden können aus unterschiedlichen Konzepten oder einer Kombination wählen.“
Eine sekundengenaue Lieferung direkt ans Montageband beim Hersteller ist heute nicht mehr die Ausnahme, sie ist für thyssenkrupp Automotive Systems längst zu einem Standard geworden. Ein Standard, der viel Know-how erfordert und eine enorme Herausforderung darstellt. „Sobald die Karosserie aus der Lackiererei kommt, erhalten wir einen elektronischen Abruf, der genau spezifiziert, wie die Vorder- und Hinterachssysteme für das Fahrzeug zu konfigurieren sind. Ab diesem Moment haben wir – je nach Kunde 240 Minuten Zeit, um unsere Module und Systeme zu fertigen und zum richtigen Zeitpunkt direkt an die Fertigungslinie des Kunden zu bringen,“ erklärt Steffen Schmidt. Bedeutet im Umkehrschluss: Wenn die benötigten Umfänge dieses Zielfenster nicht erreichen, kommt es zum Stillstand der Montagebänder. Der Supergau. Für den Automobilhersteller und die Zulieferer.
Komplexe Steuerung von 150 bis 200 Lieferanten pro Standort
Um diese Herausforderungen bei jedem zu produzierenden Fahrzeug zu meistern, müssen die Werke eine erhebliche Variantenvielfalt managen. „Wir liefern komplette, überwiegend komplexe Systeme, die aus einer Vielzahl an Bauteilen bestehen“, so Timo Köhl, bei thyssenkrupp Automotive Systems verantwortlich für Logistik und Qualität. „Mit allen Umfängen sprechen wir über Stücklisten, die bis zu 200 Einzelteile pro Modul umfassen und für die wir die Verantwortung haben“. Die Herausforderung dabei: Die Vielzahl an unterschiedlichen Lieferanten zu managen. „Je nach Standort und Komplexität sind es 150 bis 200 Lieferanten und mehr als 1.000 Sachnummern, die wir steuern“, berichtet Logistikexperte Köhl. Eine Anzahl, die sich nur mit einem hohen Automatisierungsgrad bewältigen lässt. „Die Lieferantensteuerung funktioniert bei uns vollautomatisiert über unser SAP-System, an das alle Lieferanten angebunden sind.“ Jeder Informationsaustausch über Bedarfe, Lieferfähigkeit, Lieferstatus etc. findet automatisch über dieses System statt.
Timo Köhl erklärt: „Im Rahmen eines täglichen Datenaustausches informieren uns unsere Kunden über ihre Bedarfe. Auf dieser Basis findet bei uns dann die Ressourcenplanung statt. Sie berücksichtigt die verfügbaren Bestände, die wir in den Standorten haben und berechnet die Bedarfe, die wir dann den Lieferanten übertragen müssen. Auch das passiert voll automatisiert. Unsere Disponenten versorgen unsere Lieferanten über die Parameter mit den entsprechenden Bedarfen. Sobald die Komponenten zur Abholung bei den Lieferanten bereit stehen greifen unsere Transportprozesse. Bedeutet: Durch uns beauftragte Logistikdienstleister führen die Transporte gemäß unserer Bedarfe durch, meistens per Landfracht und per Seefracht“. Dabei monitoren die Disponenten nicht nur sehr eng den Status der Lieferungen, sie optimieren auch durchgehend Frachträume, Auslastung, Routen und Kosten. Wenn die Komponenten dann in einem der sieben Standorten von thyssenkrupp Automotive Systems ankommen, werden sie auf bestimmte Kriterien geprüft und verbucht. „Im Anschluss werden sie gemäß unserer internen Prozesse erst dem Lager zugeteilt, um darauf hin im sogenannten „Line-Feeding“-Prozess an die Montagelinie gebracht zu werden“.
Internationale Logistik: Eine große Kunst
„Die Kunst“, so Steffen Schmidt, „besteht darin, Teile aus der ganzen Welt für die Produktionsorte zu besorgen und sie nach teilweise Wochen auf See in einem äußerst knapp bemessenen Zeitfenster zu montieren und zum richtigen Zeitpunkt direkt an die Linie zu bringen.“
Wie wichtig bei aller Digitalisierung und Automatisierung der Faktor Mensch bleibt, zeigt sich, wenn es zu Abweichungen der internen Prozesse oder anderen Ausnahmesituationen kommt. „Sobald wir zum Beispiel die Info bekommen, dass Zeitpläne vonseiten unserer Lieferanten nicht eingehalten werden können, setzen wir unsere Sonderprozesse in Gang“, verrät Timo Köhl. „Dann überprüfen unsere Dispositionsteams, warum die Menge nicht geliefert werden kann und welche Möglichkeiten der Reaktion wir haben, um dennoch sicherzustellen, dass wir das Material zum Zeitpunkt X in der richtigen Menge vor Ort haben. Bei lokalen Lieferanten, die uns mehrfach pro Tag beliefern, sind wir extrem eng getaktet. Da sprechen wir nicht von Tagen oder von Wochen, da muss die Ausnahmesteuerung innerhalb von Stunden funktionieren. Nur so können wir die Komplexität meistern.“
Eine ganz spezielle Herausforderung stellen dabei die Auswirkungen der weltpolitischen Erschütterungen der letzten Jahre auf die fein durchgeplanten globalen Lieferketten dar; zunächst die Corona-Krise, die Versorgungsengpässe im Bereich der Halbleiter und später der Krieg in der Ukraine. „Seit dem ersten Corona-Lockdown ist die weltweite Logistik eine Super-Challenge“, räumt Steffen Schmidt ein. „Wenn unsere Logistik-Maschinerie ins Stocken gerät, müssen wir prüfen: Wie viel haben wir noch in der Pipeline, wie viel ist noch unterwegs? Wie weit kommen wir voraussichtlich auf Basis der Kundenbedarfe und wo müssen wir zusehen, dass es eine Entlastung gibt? Da ist dann zum Teil echtes Improvisationstalent gefragt, um an die erforderlichen Teile zu bekommen, plus ein langjährig erprobtes Netzwerk. Der Faktor Mensch steht in solchen Ausnahmesituationen im Mittelpunkt. Denn am Ende verkaufen wird unseren Kunden Vertrauen; Vertrauen in unsere Liefertreue. Das ist der Anspruch an uns selbst, an dem wir uns täglich messen lassen,“ betont Steffen Schmidt.